Was Hochsensibilität wirklich ist

sinnbildliches Foto für Hochsensibilität vom Meer und Steinen
Was Hochsensibilität wirklich ist
Die letzten Jahre habe ich eine Art Hype zu dem Thema Hochsensibilität erlebt. Ausbildungen für Coaches für Hochsensible, Blogs und vieles mehr nahmen immer mehr Raum im Internet und in den Social Media ein. Immer öfter stelle ich fest, dass das was tatsächlich hochsensible Menschen von Geburt an aus macht, zunehmend durch diesen Hype unübersichtlich und unklar geworden ist. In Blogs wird beispielsweise zwischen Empfindlichkeit und Empfindsamkeit nicht unterschieden und traumatisierte Menschen werden zu Hochsensiblen gemacht, weil sich Ähnlichkeiten erkennen lassen. Die wichtigen und deutlichen Unterschiede zwischen beiden werden oftmals weggelassen. Nicht nur diese Vermischungen haben die Vorurteile gegenüber Hochsensiblen meiner Wahrnehmung nach verstärkt. Demnach sind hochsensible Menschen nicht oder nur wenig belastbar, brechen ständig in Tränen aus, sind nicht kritikfähig, neigen zur Depression etc. Und es scheint als werden immer mehr Menschen hochsensibel, weil nicht mehr genau differenziert und hingeschaut wird. Als Betroffene ist es mir ein großes Anliegen Klarheit in die vielen Vermischungen und Vermengungen zu bringen, was Hochsensibilität ist und damit aufzuzeigen, was sie nicht ist. Es ist mir ein Herzenswunsch damit Vorurteile gegen uns zu entkräften und Hochsensible in ihrem „so sein“ zu bestärken. Nach den Forschungsergebnissen von Elaine Aron (US-amerikanische Psychologin und Entdeckerin der Hochsensibilität in 1990 Jahren, Mitte der 1990 Jahre prägte sie die Begriffe HSP „Highly Sensitiv Person“ und HSPS „High Sensory-Processing-Senstivity“) sind circa 15 – 20 Prozent der Bevölkerung hochsensibel. Erforschen konnte sie, dass die vier herausragensten Merkmale der Hochsensibilität folgende sind:
1. Die gründliche Verarbeitung von Informationen
2. Eine leichtere Überreizbarkeit des Nervensystems
3. Eine starke Gefühlswelt
4. Stark empfänglich auch für leichte Reize
Diese vier Faktoren müssen von Geburt an vorhanden sein, um von einer Hochsensibilität im Sinne von Elaine Aron zu sprechen.
Wie zeigen sich diese Merkmale?
Die gründliche Informationsverarbeitung zeigte sich beispielsweise durch:
→ Deutlich mehr als andere über die langfristige Auswirkung von Handlungen und Entscheidungen und „über den Gang der Welt“ nachdenken;
→ Gefühle und Empathie als andere angesichts von Leid und Ungerechtigkeiten gegenüber Tier, Mensch, Natur;
→ Verantwortungsgefühl und Gewissenhaftigkeit;
→ schnelle Auffassungsgabe;
→ Meist einen starken Bezug zur Spiritualität;
Mittels bildgebender Verfahren wurde festgestellt, dass während der Verarbeitung von Sinneseindrücken bei Hochsensiblen mehr Hirnareale beteiligt sind als bei Normal-Sensiblen. Der Input wird hierdurch genauer und umfangreicher verarbeitet.
Diese gründliche Verarbeitung in tieferen Ebenen hat meist mit Emotionen anderer Menschen oder der Welt zu tun. Diese tiefe Verarbeitung findet oft unbewusst statt und zeigt sich nach außen durch „Bauchgefühl“ oder Ahnungen, in einem Gefühl für langfristige Konsequenzen und kann sich auch durch ein hohes Maß an Selbsterkenntnis und Erkenntnis über andere zeigen. Und die Entscheidungsfindungen können aufgrund der gründlichen Informationsverarbeitung langwieriger sein.
Eine leichte Überreizbarkeit des Nervensystems
Diese Form der Überempfindlichkeit ist eine Überstimulation. Andrea Beckmann (Diplom-Psychologin und Verhaltenstherapeutin) untersuchte hochsensible Säuglinge. Nach ihrer Beobachtung ist bei hochsensiblen Babys die rechte Stirnhälfte kälter als bei normal sensiblen Säuglingen, was auf eine erhöhte Hirnaktivität hinweist. Die Hirnregion für Reizunterdrückung ist bei Hochsensiblen weniger aktiv. Darum nehmen Hochsensible mehr Reize gleichzeitig war. Viele Hochsensible fühlen sich daher in einigen Situationen schneller sehr belastet und empfinden Stress.
Zudem hat man bei Hochsensiblen einen höheren Wert an Noradrenalin feststellen können, in Folge ist ihr Limbisches System (dieses liegt in der Amygdala und beeinflusst Emotionen wie Angst und Wut) schneller auf „Gefahr“ eingestellt. Wenn die Nebenniere Adrenalin ausschüttet, gehen die „Alarmglocken“ an. Der Körper reagiert mit Angriff, Erstarrung oder Flucht. Der Vorteil: Hochsensible erkennen deutlich schneller Gefahrensituationen.
Zu viele Stimulationen speichern wir sozusagen „zwischen“. Georg Palow (bekannt durch das Buch Zartbesaitet) nannte dies „Pufferspeicher“. Wenn dieser zu voll ist, landen wir in der Überstimulation.
Für Hochsensible ist es daher essentiell für ihr Wohlbefinden ihr eigenes Stimulationsmanagement zu erarbeiten, um den schmalen Weg zwischen Überstimulation und „Langeweile“ für sich zu finden.
Die starke Gefühlswelt oder emotionale Intensität
Hier liegt mir zunächst sehr am Herzen den Unterschied zwischen „traumatisierten Normal-Sensiblen“ und „Hochsensiblen“ aufzuzeigen: Hochsensible zeigen auf alle Ereignisse, ob positive oder negative, stärkere emotionale Reaktionen. Traumatisierte Normal-Sensible zeigen überwiegend negative Affekte und zeigen eine erhöhte Wachsamkeit auf Verlust, Verrat, Gewalt. (Selbstverständlich gibt es auch Hochsensible mit Traumata, gerade wenn ihre Kindheit und Prägungsphase eher ungünstig verlaufen ist.)
Die emotionale Intensität, die eine absolute Stärke von Hochsensiblen ist, zeigt sich bereits in „kleinen“ Dingen, z.B. ein tief empfundenes Glück über die Schönheit einer Blüte. Ihr Gesicht spiegelt meist deutlich wieder, was sie empfinden. Ein „Pokerface“ wird man unter Hochsensiblen eher nicht antreffen. Die Gefühle sind bei Hochsensiblen schneller als bei Normal-Sensiblen aktiviert.
Sensorische Empfindlichkeit
Hochsensible sind gegenüber kleinen Reizen bereits sehr empfänglich.
Schon als Kind sind die Empfindlichkeiten deutlich sichtbar, beispielsweise gegen Speisen („Mama, das fühlt sich eklig im Mund an“) oder Speisen werden lieber getrennt voneinander gegessen, gegenüber Wolle und Etiketten in Kleidungsstücken. Gerüche und Geräusche werden von Hochsensiblen ebenfalls sehr intensiv wahrgenommen.
Ebenfalls konnte beobachtet werden, dass eine indirekte Folge von Hochsensibilität zu einer langsameren Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen kann. Schulabschlüsse mit Unterbrechungen, der berufliche Weg wird spät gefunden, späte Mutter- oder Vaterschaft.
Hochsensibilität ist neben aller Herausforderungen und Problemen, die dieses Persönlichkeitsmerkmal in unserer Kultur mit sich bringt, ein Geschenk. Selbstverständlich ist jeder Hochsensible einzigartig, da wie bei Normal-Sensiblen auch bei Hochsensiblen die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen durch seine Biografie und Charaktereigenschaften geprägt wird. Die Hochsensibilität führt dazu, dass sich Hochsensible aufgrund der vier herausragenden Merkmale sehr stark ähneln.
Damit Hochsensible dieses Persönlichkeitsmerkmal als Geschenk empfinden und sich entfalten können, ist es wichtig für sie das ihnen eigene Stimulations- oder Selbstmanagement zu finden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch Hochsensible alles tun können, was sie möchten, aber eben auf ihre Art und Weise. Und sie verfügen über Möglichkeiten, über die Normal-Sensible nicht verfügen. Mein Wunsch ist darum auch, dass sich Hochsensible und Normal-Sensible verbinden und sich gegenseitig ergänzen.